Auf ein Wort  In der vergangenen Woche waren wir mit unseren zwei Freuden frühstücken. Ja, das machen wir immer noch gerne! Zwar kann ich nur ein paar Happen essen, der Hauptteil meiner Mahlzeit läuft in flüssiger Form durch die Sonde direkt in den Magen. Dass wir zwei oder drei Stunden mit unseren Freunden gemeinsam verbringen, der ist der wichtige Grund für dieses Zusammensein. Vielleicht schaffe ich es dabei ein paar Worte verständlich zu sprechen und einen Beitrag zur Unterhaltung zu leisten. Und wenn nicht, höre ich einfach nur zu und nicke bei Zustimmung oder aber schüttele den Kopf. Zwischendurch kann ich mir dann auch mal eine kurze Auszeit nehmen, um mich zu erholen. Bei eben diesem Frühstück kam auch das Thema Besuche zur Sprache. Wir beklagten, dass nur noch so wenige Bekannte den Kontakt mit uns suchen. Unsere Freude machten uns aber darauf aufmerksam, dass für die meisten da einfach eine Hemmschwelle sei. Sie wüssten nicht so recht, ob ein Anruf oder gar Besuch recht sei. Wie sollten sie mit mir, mit uns umgehen, und behandeln? Ich sage es jetzt mal einfach und frei heraus, wie es für mich – uns - ist. Anrufe: Immer gerne. Jürgen ist für jede Ablenkung dankbar. Oft "sprechen" wir auch zusammen mit dem Anrufer – das Freisprechen macht es möglich. Besuche: Immer gerne, aber bitte mit zeitnaher Absprache. Kurz anrufen und hören ob es passt. Nicht böse sein, wenn es nicht geht, weil ein anderer Termin ansteht, ich Therapie habe, oder ich mich einfach nicht gut fühle – kaputt bin. Und bitte, bitte hartnäckig bleiben! Nicht mutlos werden. Vielleicht hat es fünf mal nicht gepasst, aber vielleicht ja beim sechsten Versuch. Nie, wirklich nie, wird wegen "Unlust" von uns abgesagt. Danke! Zwar kann ich oft gar nicht oder nur undeutlich sprechen. Das sollte aber Niemand von einem Besuch abhalten. Ich kann mit den Augen schreiben und der Computer spricht dann für mich. Ausserdem kann und mag ich gerne zuhören. Vielleicht hören wir auch mal Musik, tauschen uns über Musikgeschmack aus. Wir haben eine umfangreiche Titelsammlung. Gerne kann mir der neueste Klatsch und Tratsch erzählt, einer Geschichte, vogelesen aus einem Buch oder erzählt werden. Einen Zeitungsartikel vorgelesen, kommentiert bekommen, ... all das fände ich schön.                                                                        Für Jürgen wäre auch mal eine Verabredung – auf ein Bier, oder so - schön. Auch mal ohne mich, einfach nur mit jemandem – unter vier Augen - reden können. Wir sind nicht kompliziert, nur unsere Situation ist es. Ja, bestimmt wirken wir inzwischen etwas "reserviert". Das ist aber so etwas wie ein Selbstschutz. Wir haben viel Schönes erfahren – aber auch reichlich Nackenschläge bekommen. Wir lachen trotzdem noch gerne, lieben das Leben. Wir haben nur nicht mehr die Kraft, um offensiv um Besuche oder Hilfe zu bitten. Der Alltag fordert von uns beiden so viel Kraft, da bleibt schlichtweg kaum etwas übrig. Springt über euren Schatten, traut euch! Ich springe schliesslich auch dauernd über meinen eigenen Schatten und das, obwohl ich im Rollstuhl sitze.
Christel Herrmann
© Christel Herrmann 2015
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